Sierra Leone – ein Land ohne Hoffnung?

Von 1991 bis 2002 erlebte Sierra Leone einen der gewalttätigsten Konflikte Afrikas. Wie so oft ging es auch bei diesem Krieg um seltene Rohstoffe: die berüchtigten Blutdiamanten. Am 7. Juli 1999 schließlich wurde ein Friedensabkommen unterzeichnet, durch das die Kämpfe ab dem Jahr 2000 zum Stillstand kamen. Tausende waren im Bürgerkrieg umgekommen oder verletzt, es gab zahllose Kriegsversehrte. Die Infrastruktur lag am Boden, beispielsweise waren 1.270 Schulen zerstört. Dieser Verlust konnte bis heute nicht ausgeglichen werden, der Mangel an Bildung ist eklatant. Dazu kam die Ebola-Epidemie in den Jahren 2014/15 mit tausenden Toten.

Wer durch das westafrikanische Land reist, merkt schnell, wie sehr es auch 25 Jahre nach dem Krieg noch um Stabilität ringt. Die Wunden sind sicht- und fühlbar. Wir treffen auf Menschen, denen Arme und Beine fehlen. Der Mangel an Bildung ist erlebbar, beispielsweise wenn die Verkäuferin nicht zusammenrechnen kann. Die Hälfte der Bevölkerung kann nicht lesen noch schreiben. Ressourcen sind knapp. Selbst Grundnahrungsmittel wie Reis, der eigentlich im Land wachsen könnte, müssen importiert werden, obwohl Sierra Leone fruchtbar ist. So bleiben die Lebensmittel teuer und die Kinder hungrig. Es gibt viel zu wenig Lehrer. Dorfschulen behelfen sich mit Hilfslehrern, die nie studiert haben. Computer und andere Technik sind ebenfalls Mangelware. Wie soll die Wirtschaft da in Gang kommen? Im Vergleich zu den Nachbarländern fehlt vielen in der Bevölkerung der Glaube, überhaupt noch etwas an der eigenen Situation ändern zu können. Man wurstelt sich so durch, von Tag zu Tag …

Auch der Raubbau an der Umwelt bricht uns das Herz. Vor der Küste der Hauptstadt dümpeln ein Dutzend große Fischtrawler fremder Nationen, die den Atlantik leerfischen. Der Sandstrand ist völlig zugemüllt mit Plastikflaschen und Tüten, der Atlantik so verschmutzt, dass sich selbst Mutige nicht mehr ins Wasser wagen. Im Inland sehen wir viele Brände. Die wachsende Bevölkerung benötigt Flächen für Vieh- und Ackerland, die letzten Flecken Wald werden niedergebrannt. Das ganze Großwild, sagt man, ist schon im Krieg gejagt und aufgegessen worden. Nur in extrem abgelegenen Grenzgebieten gibt es überhaupt noch Regenwälder. Mit dem Verlust der Natur nimmt sich das Land die Chancen auf Einnahmen durch Tourismus.

Was dennoch Hoffnung macht

Die Arbeit der Inter-Mission in Sierra Leone begann vor 25 Jahren mit einer Reise unseres Mitarbeiters Michael Miezal, der schon vor dem Krieg als Missionar dort war. 1999 wurde er mit dem Hubschrauber über die Trümmer der Hauptstadt Freetown geflogen und war tief berührt von der Zerstörung, die sich unter ihm ausbreitete. Die Not ließ ihn nicht los. Er überzeugte den Vorstand der Inter-Mission, Projekte in Afrika zu beginnen. Die Partnerschaft zur „Cotton Tree Foundation“ in Freetown entstand. Und in der Emanuel Baptist Church im Stadtteil Kingtom – damals ein Brennpunkt – wurde unser erstes Projekt für Kriegswaisen ins Leben gerufen. Kinder, die im Krieg ihre Eltern verloren hatten, erhielten durch die christliche Gemeinde ein Zuhause, Essen und Schulunterricht. Jahr für Jahr kamen neue Projekte dazu. Heute ist Sierra Leone das Land mit unserem zweitgrößten Engagement (nach Indien), die Inter-Mission hat 14 Projekte hier, neun Schulen wurden aufgebaut und unterstützt.

Erwähnenswert ist die religiöse Situation. In dem mehrheitlich muslimischen Land leben die Religionen friedlich beieinander: 77 Prozent sind Muslime, 20 Prozent Christen, der Rest glaubt an Naturgeister und Ahnenkulte. Der religiöse Friede hilft in den Projekten, die sich selbstverständlich an alle Bedürftigen richten. Ein muslimischer Vater erzählt mir stolz, dass sein blinder 18-Jähriger, den wir unterstützen, in eine christliche Gemeinde geht. Das sei voll in Ordnung für ihn als Vater, sagt er sichtlich stolz auf seinen blinden Sohn, der sich gut entwickelt. Das kleine Projekt in Lungi, in der Nähe des Flughafens, wo wir ihn mit seinem Sohn treffen, richtet sich an Familien von Kindern mit Behinderung: Mitarbeiter passen Rollstühle und Gehhilfen an und geben diese kostenlos aus. Und die Familien bekommen einmal im Monat einen Sack mit 25 Kilo Reis. Ein Kilo kostet umgerechnet einen Euro, viel zu teuer für die Menschen hier. Dank unserer Hilfe haben die Kinder und Jugendlichen zumindest einmal am Tag eine nahrhafte Mahlzeit auf dem Tisch und erhalten schulische Förderung.

In Sierra Leone sind im Krieg viele Schulen zerstört worden. Die Inter-Mission unterstützt Schulgründungen.

Wir fahren weiter nach Port Loko, wo ein ganzes Dorf für Kriegsversehrte entstanden ist. Ein einheimischer Pastor gründete bei ihnen eine christliche Gemeinde und baute die kleine Schule auf. Wir bezahlen die Lehrergehälter, das Schulmaterial und tägliche Essen für 20 Schüler. Die kleine Grundschule muss dringend erweitert werden für die wachsende Kinderschar. Im Dorf begegnen wir Eltern und Großeltern der Schüler vor ihren Hütten beim Kochen und Arbeiten. Ihr Leben mit fehlenden Gliedmaßen ist nicht einfach. Sie sind dankbar, dass wir uns um ihre Kinder kümmern.

Kindern eine Zukunft schenken …

Am eindrucksvollsten ist das Projekt gegen weibliche Genitalverstümmelung der Inter-Mission. Joan Kamara-Keister, die Leiterin unserer Partnerorganisation Cotton Tree Foundation, hat den schrecklichen Brauch, dem auch heute noch zahllose Mädchen in Westafrika unterzogen werden, selbst erlebt: Drei ihrer Freundinnen sind damals gestorben, berichtet sie unter Tränen. Seither kämpft sie für die Abschaffung dieses schrecklichen Brauchs. Ihre Mitarbeiter warnen in Schulen davor. Mit Hilfe der Inter-Mission nehmen sie Mädchen in Schutz- und Mentoring-Programme auf. Beschneiderinnen erhalten Unterstützung und Beratung, damit sie andere Berufe ausüben können. Spätestens als wir diesen Mädchen in die Augen schauen, haben wir wieder Hoffnung für das Land.

Wer Hoffnung sucht, findet sie auch an der Blindenschule in Makeni: 50 sehgeschädigte Kinder und Jugendliche empfangen uns mit fröhlichem afrikanischem Lobpreis. Früher war hier ein Schlachthof. Die Cotton Tree Foundation hat die erste inklusive Sekundarschule des ganzen Landes daraus gemacht. Wir sind dankbar, dass uns der deutsche Staat und viele Freunde der Inter-Mission beim Aufbau dieser Schule unterstützt haben. Normalerweise werden blinde Kinder in Ländern wie Sierra Leone versteckt und führen ein Leben ohne Chancen. An unserer „Bombali School for the Blind“ ist das ganz anders: Die Schüler werden gefördert, lernen Braille lesen und schreiben und bekommen einen Schulabschluss, mit dem sie studieren können. An der nahegelegenen Uni treffen wir den Beweis dafür: 14 junge blinde Menschen, die selber Lehrer werden. Auch ihre Studiengebühren kommen als Spende aus Deutschland.

In Sierra Leone hilft die Inter-Mission vor allem durch Bildung. Auf meiner Reise habe ich mehr als 1.000 Schüler getroffen, denen unsere Projektpartner ganzheitlich helfen. 2025/26 wollen wir zwei neue Schulprojekte ermöglichen: Zwei Dörfer baten um Hilfe, weil sie ihren Kindern Zukunft geben wollen. Diese Projekte umfassen die Förderung von Mädchen und Landwirtschaft. Helft ihr uns dabei?

Ein Reisebericht von Theo Volland,
Leiter Kommunikation der Inter-Mission

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