Wie Christen in Kenia das Evangelium in die Steppe hinaustragen

Seit Stunden rumpelt der Land-Rover über fußballgroße Steine hinweg, es geht ein trockenes Bachbett hinab. Der große Geländewagen schwankt heftig, als er sich auf der anderen Seite wieder hochkämpft. Ich habe schon schlimmste Straße gesehen, aber das hier: Das ist keine! Prompt bleiben wir stecken, die Räder graben sich ein. Alles raus, wir müssen schieben! Einen Kilometer weiter erwartet uns die junge, christliche Gemeinde „Samaria“. Ihre „Kirche“ ist nur ein verkrüppelter Busch, in deren Schatten sich sonntags rund 20 Frauen und Kinder auf den Steinen zusammenhocken. Treibende Kraft der Gemeinde ist Ruth, eine 30-Jährige, die erste am Ort, die sich für Jesus entschieden hat. Ruth schlägt die Trommel, die Frauen in roten und blauen Gewändern stimmen tanzend in ihren afrikanischen Begrüßungsgesang für uns mit ein.

Wir sind im Volk der Pokot, im Westen Kenias, oberhalb des Baringo-Sees. Die Pokot sind Halbnomaden und leben mit ihren Herden (Rinder, Schafe, Esel, Kamele und Ziegen) im Steppen- und Buschland nordwestlich der Stadt Nakuru bis zum Viktoriasee. Genau weiß niemand, wie viele Pokot es in den unzugänglichen Tälern gibt; Schätzungen reichen von 800.000 bis über eine Million. Sie sind eine stolze Ethnie, kriegerisch und gefürchtet bei ihren Nachbarvölkern. Von der Statur her schlank, legen sie weite Strecken rennend zu Fuß zurück. Wir sehen Männer, bewaffnet mit Pfeil und Bogen, die Antilopen jagen und nach ihren Herden schauen. Leider gibt es auch modernere Waffen …

Eine kleine Kirche, mitten im Nirgendwo …

Die Kirchen und Siedlungen sind schwer zu finden. Ihre Rundhütten und Wellblechhäuschen verstecken sich zwischen Büschen unter Nestern von Webervögeln, umgeben von roten Felsen und knochentrockener Steppe. Würden nicht Ziegen an manchen Büschen knabbern, wäre kaum zu merken, dass hier Menschen siedeln. Samaria hieß früher „Katungura“: Ein Ort, wo nichts wächst! Das stimmt, nur Kakteen, verkrüppelte Büsche, dazwischen wohlriechende Minze. Unter den Steinen verstecken sich Skorpione so lang wie mein kleiner Finger. Die Christen wollten ihre Kirche nicht „unfruchtbar“ nennen. Weil sie von einer Frau gegründet worden ist, benannten sie sich nach dem biblischen Samaria, wo Jesus eine Frau zum Glauben geführt und ihr Wasser des Lebens angeboten hat.

Auf Wasser und ein Dach für ihre Kirche warten sie in Samaria noch. Aber in anderen Gemeindegründungen unseres kenianischen Partners sind schon Brunnen gebohrt, sodass die Menschen Wasser für ihre Familien holen und ihre Tiere tränken können. So eine Wasserstelle würde den Frauen in Samaria auch sehr helfen. Noch gehen sie Tag für Tag bis zu fünf Kilometer zu Fuß, um ans kostbare Nass heranzukommen.

Wir unterstützen die Pokothilfe „Life Point Nakuru“, sie sind eines unserer kenianischen Partnerwerke. Die Organisation hat neun Pastoren und sechs Lehrer ins Volk der Pokot entsandt. Einige von ihnen kommen aus anderen Völkern Kenias und haben sich bewusst für das entbehrungsreiche Leben in der Wildnis entschieden, weil sie die Pokot für Jesus gewinnen und ihnen seine Liebe nahebringen wollen. Es begeistert, wieviel Einsatz die kenianischen Christen bringen, damit die frohe Botschaft zu den Menschen kommt. Eine Siedlung war für Geländewagen nicht erreichbar. Eigenhändig haben Kirchenleiter Moses und sein Team eine drei Kilometer lange Schneise durch den Busch gehauen und Felsbrocken zur Seite geräumt.

Die meisten Pastoren sorgen selbst für ihren Lebensunterhalt. Joseph, der 1999 am Baringo-See die erste Pokot-Kirche der Region gegründet hat, fängt Fische im See und bringt sie zu Fuß in Siedlungen oberhalb in den Bergen. Wo immer er Ware verkauft, erzählt er, wie Jesus sich am Kreuz geopfert hat, damit Menschen ewiges Leben haben können. Durch Joseph haben sich viele Pokot für Christus entschieden. Der „Fischpastor“, wie sie ihn nennen, hat drei Gemeinden gegründet. Die in Keriwok ist entstanden, weil Joseph den hungernden Kindern dort immer wieder Fisch geschenkt hat.

Die Pokot sind gefürchtet bei ihren Nachbarvölkern

Manche Traditionen der Pokot erscheinen grausam. So darf ein junger Mann erst heiraten, wenn er als Brautpreis 100 Tiere besitzt. Weil die meisten nicht so viel Vieh haben, überfallen sie Nachbarvölker und rauben es. Man sagt, dass den Pokot ihre Herden wichtiger sind als die eigene Familie. Selbst wenn sie hungern, würden sie kein Vieh verkaufen. Gefürchtet ist der „Sapana“-Ritus, ohne den ein Mann im Stamm nichts gilt. Die Feier mit Alkohol, Tanz, Ekstase und sexuellen Ausschweifungen mündet in die Opferung eines Rinds, mit dessen Mageninhalt der Körper des jungen Mannes eingeschmiert wird. Christen, die nicht an solchen Ritualen für die Naturgötter teilnehmen wollen, werden massiv unter Druck gesetzt. Ein Pastor erzählt, wie Pokot seine Familie überfallen, die Tochter entführt und einer Genitalverstümmelung unterzogen haben, grausam! Einem anderen Pastor wurde das Haus angezündet. Sie haben vergeben und sind geblieben. Seither wachsen ihre Gemeinden. Berichte, die kaum zusammenzubringen sind mit den freundlichen Pokot-Christen, die uns begegnen.

In Kokwototo, wo sonntags 100 Christen zusammenkommen, kümmern sich die Frauen besonders um Mädchen in Not. Sie haben hunderte Mädchen vor Kinderhochzeit bewahrt. Pokotmädchen werden sonst oft bereits mit neun Jahren verheiratet. In der Nachbargemeinde Kokwobanga hat Life-Point eine Grundschule für heute 140 Kinder gegründet. Beeindruckend: Die Klassenräume sind mit einfachsten Mitteln gebaut und ausgestattet, die Schule funktioniert. Ein nahrhaftes Mittagessen ist Grundlage für die Kinder, damit sie sich im Unterricht konzentrieren und gesund aufwachsen können. Zuhause gibt es oft zu wenig. Die jungen Lehrer unterrichten mit Elan. Falls sie neue Lehrer finden, wollen sie in Kokwototo eine Zweigschule eröffnen – zwei Klassenräume stehen bereits.

Treibende Kraft hinter der Pokothilfe ist Bischof Moses mit seiner Frau Eunice. Der 51-Jährige hat Theologie studiert, war lange Pastor der „Afrika Inland Kirche“, bis er 1999 die „Life Point Kirche“ gegründet hat. Der fleißige Mann mit freundlichem Gemüt lebt von seiner kleinen Farm, wo er innovative Landwirtschaft ausprobiert. Seine Frau Eunice ist Professorin und unterrichtet Psychologie an einer örtlichen Uni. Sie organisiert auch die Frauenarbeit und Familienhilfe der Kirche. „Welcome home“ (willkommen daheim) ist das Motto der 30 Life Point-Gemeinden in Kenia, elf davon bei den Pokot. Die ersten zehn Jahre haben sie alles ohne Hilfe von außen aufgebaut, bis Christen aus Deutschland begannen, sie zu unterstützen. Im Gottesdienst in Nakuru empfangen uns circa 70 Christen mit fröhlichem Lobpreis in Suaheli: „Geh nicht allein – geh mit Gott, Schritt für Schritt!“ Die afrikanischen Glaubenslieder hallen durch die offenen Seiten des Saals in die Stadt hinaus. Gottes Wort und Jüngerschaft sind Fokus der Gemeinde in Nakuru – und Pioniermission bei den Pokot.

Theo Volland
Geschäftsführer

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