Ich wurde eingestiegen

Es ist früher Morgen, als ich in eines der zahlreichen Taxi-Brousse einsteige, bzw. eingestiegen werde, denn es drängen sich eine Menge Menschen um mich, bereits die halbe Stadt scheint auf den Beinen zu sein. Dennoch verläuft die Fahrt von einem der Vororte Antananarivos, der geschäftigen Hauptstadt Madagaskars, ins Zentrum, äußerst diszipliniert und mit gegenseitiger Rücksichtnahme. Die ca. 28 engen Sitzplätze des in die Jahre gekommenen Sprinter werden der Reihe nach gefüllt, kein Passagier ohne Sitzplatz mitgenommen, man ist höflich und zum Zahlen werden Geldscheine auch mal via Mitreisenden nach hinten durchgereicht.

Geregeltes Chaos

Dieses geregelte Miteinander steht nur scheinbar im Gegensatz zum bereits regen Treiben auf den Straßen, wobei augenfällig die zahlreichen jüngeren und älteren Männer sind, die hoffen an diesem Tag irgendwie einen Job als Tagelöhner zu bekommen; geregelte Arbeitsverhältnisse sind die Ausnahme, der tägliche Kampf ums Einkommen fürs Nötigste dominiert die Verhältnisse. Arbeit ist rar – und das wiederum eines der zentralen Probleme des Landes. Mit entsprechenden Folgen für alle Lebensbereiche: Armut und Mangelversorgung bis hin zu Unterernährung. Laut Statistiken betrifft dies landesweit gut 50% der Kinder.

Armut und Mangelernährung überall

Diese Kinder sind überall zu sehen, oft bettelnd in den vollen Straßen der Hauptstadt, aber vermehrt bei der Fahrt übers Land, in den Dörfern, am Wegrand, auf den Rücken zahlloser Mütter, die irgendetwas zu verkaufen suchen, und seien es auch nur ein paar verschrumpelte Süßkartoffeln. Oder sie werden getragen von den Geschwistern, meist selbst noch Kinder. Hier gelten Kinder, trotz Hunger und Versorgungsproblemen, trotz einer Unzahl an zerbrochenen Familien, als eine Art Altersversorgung, besonders auf dem Land. Die Landbevölkerung macht über zwei Drittel der Gesamtbevölkerung aus, die Prognose der UN rechnet bis 2050 mit einem Anwachsen von aktuell ca. 29 Millionen auf gut 50 Millionen Menschen. Wie diese dann satt werden sollen bei schon jetzt herrschendem Hunger besonders im Süden des Landes, will sich niemand ausmalen

Die Dürre bringt den Hunger

Szenenwechsel. Die als touristisches Ziel beliebte Küstenstadt Toliara im Südwesten ist in den letzten drei Jahren der anhaltenden Dürre zum Anlaufpunkt zahlreicher Hungernder geworden. Sie fliehen aus den betroffenen Regionen, finden aber auch dort weder Arbeit noch Einkommen. Denn die umliegenden ländlichen Regionen sind von toter roter Erde geprägt: der Boden gibt nichts mehr her. Zugang zu Trinkwasser ist knapp geworden. Der Hunger betrifft nicht nur die alleinerziehende Mutter mit 4 oder mehr Kindern, sondern beispielsweise auch die zahlreichen Mädchen vom Land, die ihren Körper für wenig Geld den Touristen anbieten; selbst eine einzige Mahlzeit am Tag ist für immer weniger Menschen gesichert. Ein gewisser Teil davon auch nur durch die Tätigkeit von Organisationen wie dem World Food Program, die z.B. zahlreiche Schulen mit Essensverteilungen versorgen, jedoch bei weitem in der Summe nicht ausreichend.

Kirchengemeinde als Basis für den Hilfseinsatz

Die Inter-Mission wurde 2019 durch persönliche Kontakte auf die Situation in Madagaskar aufmerksam, die sich durch die genannte Dürre seither erheblich verschlechtert hat. Deshalb sind wir gern einem Hilferuf gefolgt, der uns im Herbst 2021 erreichte, und haben die Kontakte intensiviert, um auch als kleinere Organisation entsprechend unserer Zielsetzung der nachhaltigen Hilfe tätig zu werden. Dabei ist und bleibt die Vorgehensweise durch Partner vor Ort, die die örtliche Situation kennen und zielgerichtet helfen können, eine grundlegende Voraussetzung. Eine gut organisierte Kirchgemeinde in Toliara dient als Basis für zweimal wöchentlich stattfindende Mittagessensverteilungen für jeweils 120 bedürftige Kinder; mit Mahlzeiten, bei denen sie auch satt werden. Hinzu kommen die Einrichtung eines Kinderheimes, in dem zunächst 30 Halb- bzw. Vollwaisen aufgenommen werden, sowie eine Grundhilfe für 40 Vollwaisenkinder einer örtlichen Grund- und Hauptschule, organisiert durch den Schuldirektor. Des Weiteren konnten wir durch diese Gemeinde im Februar 2022 eine Soforthilfe in der von einem Zyklon stark betroffenen Küstenstadt Manakara im Osten der Insel durchführen sowie die Verteilung von Lebensmittelrationen in Dörfern um Toliara. Bei einigen dieser Aktionen konnte ich dabei sein und Szenen erleben, die sich tief eingeprägt haben; die Bilder sprechen davon.

Erst der Bauch, dann der Kopf

Ein weiteres Tätigkeitsfeld wird derzeit ausgebaut: Ein Team der Gemeinde geht in die Region der extremen Dürre und identifiziert und versorgt in Zusammenarbeit mit den jeweiligen „Dorfbürgermeistern“ in 17 Dörfern die bedürftigsten Familien mit Lebensmittelrationen. Die Kosten pro Ration liegen bei umgerechnet ca. 10 Euro pro Familie und jede einzelne bringt etwas Hoffnung in die Herzen und Hütten der Menschen!

Eine zweite Projektregion ergab sich erst jüngst am Nordrand Antananarivos. Ansatzpunkt ist eine Dorfschule. Der evangelische Pfarrer und die Rektorin der Schule engagieren sich beim Aufbau einer Schulspeisung, haben aber auch die weitere Betreuung und Förderung der bedürftigsten Kinder zum Ziel. Parallel dazu werden die Lehrer – von der Regierung überwiegend schlecht und zudem unregelmäßig bezahlt – geschult und motiviert.

Wir sind dankbar für jede finanzielle Unterstützung, die wir in dieser akuten Notlage nach Madagaskar schicken können. Für November 2022 sowie Sommer 2023 planen wir Besuchsreisen zu diesen Projekten für alle, die sich weiter informieren und vielleicht auch engagieren wollen. Informationen hierzu erhalten Sie gerne beim Verfasser unter email: ar@inter-mission.de

Autor: Andreas Rapp, Mitarbeiter der Inter-Mission